Frauen bleiben ein Tabu im Shantychor (OZ 13.4.2012)

Der Reriker Männerchor sucht noch jüngere Mitstreiter.
Der Altersdurchschnitt des Chores liegt bei 65 Jahren.
Von Rolf Barkhorn, OSTSEEZEITUNG 13. April 2012

Rerik – Heute ist „großer Bahnhof“im Ostseebad Rerik. Ministerpräsident Erwin Sellering wird erwartet– als Gast zu einem wichtigen Jubiläum.
Der Shantychor „Reriker Heulbojen” feiert den 65. Jahrestag seiner Gründung mit einem öffentlichen Festakt ab 10 Uhr im Begegnungshaus
„Kösterschün“. Laut Duden steht das Wort „Heulboje“ eigentlich als seemännischer
Ausdruck für einen „schlechten Sänger“. Da muss entweder 1947 bei der Namensgebung etwas falsch gelaufen sein oder aber die Verfasser des Dudens kennen die Reriker Heulbojen nicht. Die sind für ihren vortrefflichen Gesang weit über die Grenzen des Landes hinaus bekannt und bei Einheimischen wie Urlaubern gleichermaßen beliebt.
Das umfangreiche Repertoire des Reriker Männerchores besteht zum größten Teil aus Shanties. So heißen die Lieder, mit denen sich früher Seeleute auf den Segelschiffen
die schwere Arbeit etwas erträglicher machten.
Mit Arbeit haben Shantys auch heute auch noch etwas zu tun – zumindest für die Chorsänger, die sich ihr Repertoire erstmal in unzähligen Proben erarbeiten müssen.
Die Reriker Heulbojen, 42 Männer zwischen 39 und 80 Jahren alt, treffen sich in der Regel mittwochs in ihrem kleinen aber schmucken Vereinsheim zum Proben. „Da freuen sich dann alle, dass sie zu Hause mal Ausgang bekommen”, witzelt Günther Neumann. Er kümmert sich an den Probeabenden nebenbei um den Tresen.
Beim letzten Chortreff vor dem Jubiläum hat er schon zu Beginn reichlich zu tun. Neumann reicht Bierflaschen weiter, schenkt Schnäpse aus, bis jeder versorgt ist und ein Getränk in der Hand hält. Gerd Strübing, der Vereinsvorsitzende, ergreift kurz das Wort und gratuliert einem der Männer zu seinem Geburtstag. „Siggi“, wie Siegfried Pilch im Chor genannt wird, ist sechzig geworden – ist damit fünf Jahre jünger als der Chor und dessen Altersdurchschnitt, der ebenfalls bei 65 liegt. Die Männer erheben sich, sie lassen ihren Jubilar hochleben und zum ersten Mal an diesem Abend klingt der Chor schon richtig gut. „Wer nicht liebt, nicht singt und nicht trinkt…”, singen die Männer. Dabei hatte Horst Schirmer, der musikalische Leiter, zuvor noch zu erklären versucht, es sei nur ein böses Vorurteil, Shantysänger würden vor dem Gesang mit Alkohol ihre Stimme ölen. „Sicher, wir können auch gut feiern, aber dann erst nach dem Auftritt“, bemerkt der ehemalige Musiklehrer. Es bleibt auch bei dem einen Schnaps zu Ehren des Jubilars. Denn nun wird mit viel Konzentration geprobt. Schirmer ist ein strenger, aber ebenso humorvoller Chorleiter, einer, der die Männer fordert, sie aber auch lobt, wenn ihnen ein Lied besonders gut gelingt. Sie singen an diesem Abend nicht das ganze Konzertprogramm durch, üben nur besonders schwierige Stücke aus dem Programm des Jubiläumskonzerts. Auch das „Mecklenburglied“ wird angestimmt.
Das wollen die Heulbojen beim Festakt gemeinsam mit Erwin Sellering singen. Nach der Probe ist noch etwas Zeit für organisatorische Dinge. „Wir können noch Nachwuchs gebrauchen“, meint Gerd Strübing und verweist auf den hohen Altersdurchschnitt des Chores.
Ein Tabu, das immer galt, wird sich jedoch nicht ändern: Frauen dürfen bei den Heulbojen nicht mitsingen. „Aber wenn sich eine Frau finden würde, die uns auf dem Akkordeon musikalisch begleiten möchte, hätte sie gute Chancen“, sagt Klaus Wolfert, Strübings Stellvertreter und „Manager“ der Heulbojen.